Herr Dr. Stephan, monatelang konnten sich Aktienanleger über neue Kursrekorde freuen. Jetzt ist der Aufschwung ins Stocken geraten. Warum?
Stephan: Die Kursgewinne am Aktienmarkt sind stark von der weltweit expansiven Geldpolitik getrieben worden. Das heißt, Notenbanken wie die Europäische Zentralbank oder die amerikanische Fed haben den Markt mit reichlich frischem Geld versorgt, das dann in die Kapitalmärkte geflossen ist. Fundamentale Daten, also zum Beispiel die Gewinnsituation der Unternehmen, sind dagegen in den Hintergrund getreten. So legte etwa der DAX im ersten Quartal 2015 um 22 Prozent zu – das ist auf Dauer nicht durchzuhalten.
Müssen sich die Anleger jetzt Sorgen machen?
Stephan: Jedenfalls sollten sie die Märkte in den kommenden Wochen genau beobachten, denn das Klima könnte vorübergehend etwas rauer werden. Aktien sind nach den Kursgewinnen der letzten Monate relativ hoch bewertet und es gibt einige Faktoren, die kurzfristig die Kurse belasten könnten.
Um welche Faktoren handelt es sich?
Stephan: Erstens ein möglicher „Grexit“ – obwohl die griechische Regierung nun doch eine gewisse Gesprächsbereitschaft zeigt, scheint die Umsetzung wirkungsvoller Reformen noch immer fern. Zweitens der Umbau der chinesischen Wirtschaft, der zu geringerem Wachstum führt. Drittens die Verschnaufpause bei der US-Dollar-Aufwertung und viertens eine schwache Gewinnentwicklung der US-Unternehmen.
Welche Folgen hat das geringere Wachstum in China?
Stephan: Das Land befindet sich im Übergang von einer Exportnation mit zweistelligen Wachstumsraten zu einer Volkswirtschaft, die verstärkt auf Binnenwirtschaft und Konsum setzt, und so ein schwächeres, aber langfristig nachhaltiges Wachstum generieren soll. Kurzfristig kann dies zu Marktschwankungen führen, auf Dauer bin ich allerdings optimistisch. Regierung und Zentralbank gehen mit Augenmaß vor, die Liberalisierungsmaßnahmen und die Bereitschaft, mit Geld- und Fiskalpolitik die Konjunktur zu stützen, werden an der Börse positiv aufgenommen. Interessant erscheinen mir vor allem in Hongkong notierte chinesische Unternehmen: Die sogenannten H-Aktien werden mit Abschlägen gegenüber Festlandsaktien gehandelt.
Der Höhenflug des US-Dollars scheint vorerst gestoppt. Was bedeutet das für die europäischen Märkte?
Stephan: Der stärkere US-Dollar hat vor allem bei exportorientierten europäischen Unternehmen für Freude gesorgt, denn sie konnten ihre Produkte in den USA deutlich günstiger anbieten. Seit Mitte März sehen wir nun eine Gegenbewegung: Nach schwächeren Wirtschaftsdaten aus den USA hat der Euro wieder zugelegt. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnten die Gewinne und damit die Aktienkurse der europäischen Unternehmen darunter leiden. Ich erwarte allerdings, dass der US-Dollar seinen Aufstieg nach einer Pause fortsetzen wird. Möglicherweise sehen wir schon zum Jahresende einen Euro/Dollar-Kurs von eins zu eins.
… was sich auf die Gewinnsituation der US-Unternehmen eher negativ auswirken dürfte.
Stephan: Ja, der starke US-Dollar, aber auch der niedrige Ölpreis dürften in vielen Bilanzen Bremsspuren hinterlassen. Positive Ausnahmen in der aktuell laufenden Berichtssaison sind die Sektoren Finanzen, Gesundheitswesen und IT. Insgesamt erwarte ich für die ersten drei Quartale 2015 kein nennenswertes Gewinnplus bei Unternehmen im S&P-Index. Erst zum Jahresende dürfte den US-Firmen die Trendwende gelingen.
Sollten Anleger zurzeit besser ganz auf Aktien verzichten, nach dem Motto: „Sell in May and go away“?
Stephan: Das empfehle ich nicht. Auch wenn es an den Märkten stärkere Schwankungen geben kann, ist eine ausgewogene langfristige Anlagestrategie ohne Aktien kaum vorstellbar. Vorsichtige Anleger könnten den Aktienanteil im Portfolio vorübergehend etwas zurückfahren. Wer investiert bleibt, sollte aktuell Substanzwerte und Aktien mit hoher Dividendenqualität gegenüber konjunkturabhängigen Aktien bevorzugen. Immerhin schütten deutsche Unternehmen 2015 Gewinne in Höhe von 42 Mrd. Euro an ihre Aktionäre aus, so viel wie nie zuvor.
Welche Möglichkeiten sehen Sie außerhalb Deutschlands?
Stephan: Zurzeit sehe ich mittel- bis langfristige Chancen vor allem in Europa und Asien. In der asiatischen Region kann sich neben Japan auch ein Blick auf die Schwellenländer wie Indonesien, Indien und China lohnen. US-Aktien besitzen aktuell aus meiner Sicht wenig Kurspotenzial, gehören aber als relativ stabiler Baustein ins Aktienportfolio. Daneben könnten Anleger über US-Investment-Grade-Anleihen nachdenken, also Anleihen von Unternehmen mit guter bis sehr guter Bonität. Sie bieten eine höhere Verzinsung als vergleichbare europäische Papiere und könnten von einer möglichen weiteren Aufwertung des US-Dollars profitieren.
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Herr Dr. Stephan, monatelang konnten sich Aktienanleger über neue Kursrekorde freuen. Jetzt ist der Aufschwung ins Stocken geraten. Warum?
Stephan: Die Kursgewinne am Aktienmarkt sind stark von der weltweit expansiven Geldpolitik getrieben worden. Das heißt, Notenbanken wie die Europäische Zentralbank oder die amerikanische Fed haben den Markt mit reichlich frischem Geld versorgt, das dann in die Kapitalmärkte geflossen ist. Fundamentale Daten, also zum Beispiel die Gewinnsituation der Unternehmen, sind dagegen in den Hintergrund getreten. So legte etwa der DAX im ersten Quartal 2015 um 22 Prozent zu – das ist auf Dauer nicht durchzuhalten.
Müssen sich die Anleger jetzt Sorgen machen?
Stephan: Jedenfalls sollten sie die Märkte in den kommenden Wochen genau beobachten, denn das Klima könnte vorübergehend etwas rauer werden. Aktien sind nach den Kursgewinnen der letzten Monate relativ hoch bewertet und es gibt einige Faktoren, die kurzfristig die Kurse belasten könnten.
Um welche Faktoren handelt es sich?
Stephan: Erstens ein möglicher „Grexit“ – obwohl die griechische Regierung nun doch eine gewisse Gesprächsbereitschaft zeigt, scheint die Umsetzung wirkungsvoller Reformen noch immer fern. Zweitens der Umbau der chinesischen Wirtschaft, der zu geringerem Wachstum führt. Drittens die Verschnaufpause bei der US-Dollar-Aufwertung und viertens eine schwache Gewinnentwicklung der US-Unternehmen.
Welche Folgen hat das geringere Wachstum in China?
Stephan: Das Land befindet sich im Übergang von einer Exportnation mit zweistelligen Wachstumsraten zu einer Volkswirtschaft, die verstärkt auf Binnenwirtschaft und Konsum setzt, und so ein schwächeres, aber langfristig nachhaltiges Wachstum generieren soll. Kurzfristig kann dies zu Marktschwankungen führen, auf Dauer bin ich allerdings optimistisch. Regierung und Zentralbank gehen mit Augenmaß vor, die Liberalisierungsmaßnahmen und die Bereitschaft, mit Geld- und Fiskalpolitik die Konjunktur zu stützen, werden an der Börse positiv aufgenommen. Interessant erscheinen mir vor allem in Hongkong notierte chinesische Unternehmen: Die sogenannten H-Aktien werden mit Abschlägen gegenüber Festlandsaktien gehandelt.
Der Höhenflug des US-Dollars scheint vorerst gestoppt. Was bedeutet das für die europäischen Märkte?
Stephan: Der stärkere US-Dollar hat vor allem bei exportorientierten europäischen Unternehmen für Freude gesorgt, denn sie konnten ihre Produkte in den USA deutlich günstiger anbieten. Seit Mitte März sehen wir nun eine Gegenbewegung: Nach schwächeren Wirtschaftsdaten aus den USA hat der Euro wieder zugelegt. Sollte sich dieser Trend fortsetzen, könnten die Gewinne und damit die Aktienkurse der europäischen Unternehmen darunter leiden. Ich erwarte allerdings, dass der US-Dollar seinen Aufstieg nach einer Pause fortsetzen wird. Möglicherweise sehen wir schon zum Jahresende einen Euro/Dollar-Kurs von eins zu eins.
… was sich auf die Gewinnsituation der US-Unternehmen eher negativ auswirken dürfte.
Stephan: Ja, der starke US-Dollar, aber auch der niedrige Ölpreis dürften in vielen Bilanzen Bremsspuren hinterlassen. Positive Ausnahmen in der aktuell laufenden Berichtssaison sind die Sektoren Finanzen, Gesundheitswesen und IT. Insgesamt erwarte ich für die ersten drei Quartale 2015 kein nennenswertes Gewinnplus bei Unternehmen im S&P-Index. Erst zum Jahresende dürfte den US-Firmen die Trendwende gelingen.
Sollten Anleger zurzeit besser ganz auf Aktien verzichten, nach dem Motto: „Sell in May and go away“?
Stephan: Das empfehle ich nicht. Auch wenn es an den Märkten stärkere Schwankungen geben kann, ist eine ausgewogene langfristige Anlagestrategie ohne Aktien kaum vorstellbar. Vorsichtige Anleger könnten den Aktienanteil im Portfolio vorübergehend etwas zurückfahren. Wer investiert bleibt, sollte aktuell Substanzwerte und Aktien mit hoher Dividendenqualität gegenüber konjunkturabhängigen Aktien bevorzugen. Immerhin schütten deutsche Unternehmen 2015 Gewinne in Höhe von 42 Mrd. Euro an ihre Aktionäre aus, so viel wie nie zuvor.
Welche Möglichkeiten sehen Sie außerhalb Deutschlands?
Stephan: Zurzeit sehe ich mittel- bis langfristige Chancen vor allem in Europa und Asien. In der asiatischen Region kann sich neben Japan auch ein Blick auf die Schwellenländer wie Indonesien, Indien und China lohnen. US-Aktien besitzen aktuell aus meiner Sicht wenig Kurspotenzial, gehören aber als relativ stabiler Baustein ins Aktienportfolio. Daneben könnten Anleger über US-Investment-Grade-Anleihen nachdenken, also Anleihen von Unternehmen mit guter bis sehr guter Bonität. Sie bieten eine höhere Verzinsung als vergleichbare europäische Papiere und könnten von einer möglichen weiteren Aufwertung des US-Dollars profitieren.
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