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6. September 2017
John Cryan auf der 22. Handelsblatt-Jahrestagung
„Banken im Umbruch“
„Banken im Umbruch“
Meine Damen und Herren,
es ist schön, wieder hier zu sein und mit Ihnen gemeinsam „Banken im Umbruch“ eröffnen zu dürfen.
Ihnen, lieber Herr Steingart, möchte ich nicht nur für die Einladung danken. Ich möchte mich auch für unser unglückliches Timing im vergangenen Jahr entschuldigen. Ich weiß, Sie hätten mich viel lieber einige Wochen später hier auf der Bühne gehabt. Sie alle wissen, wie turbulent es für uns ab Mitte September des vergangenen Jahres war.
Seit wir uns zuletzt hier gesehen haben, ist in unserer Bank viel passiert. Wir haben wichtige Rechtsfälle abgeschlossen, unser Eigenkapital gestärkt und uns neu ausgerichtet. Nun können wir nach vorne schauen und wieder wachsen – wenn auch mit Umsicht. Und auf der Kostenseite zeigen wir eine Disziplin, die uns so vor zwei Jahren niemand zugetraut hätte.
Ich will aber heute gar nicht viel über die Deutsche Bank sprechen, sondern über spannendere Themen, die mich zurzeit ebenfalls umtreiben:
Diese Themen möchte ich Ihnen, meine Damen und Herren, anhand von einigen Thesen erläutern.
Die erste lautet:
Die Zeit des billigen Geldes in Europa sollte enden – trotz des starken Euros
In den Jahren nach der Finanzkrise war die regionale Dynamik der Weltwirtschaft ziemlich klar: Amerika erholte sich recht schnell, während Europa in eine Staatsschuldenkrise stürzte und die Konjunktur auf dem Kontinent darbte. Es schien nur eine Frage der Zeit, wann der Euro die Parität zum Dollar unterschreitet.
Dieses Bild hat sich nun fundamental verändert. Politisch erscheint Europa trotz des Brexits weitaus stabiler, während die Verunsicherung mit Blick auf die Vereinigten Staaten wächst, zumindest politisch. Außerdem sprechen die Konjunkturdaten nun eher für Europa.
Eine der Folgen: Der Euro ist inzwischen wieder ein Dollar zwanzig wert, und einiges spricht im Moment dafür, dass sich dieser Trend fortsetzt.
So schön das für Europas Selbstbewusstsein sein mag, mir bereitet der starke Euro Sorgen – und das nicht nur weil er Exporte erschwert. Vielmehr könnte die Entwicklung an den Devisenmärkten der Europäischen Zentralbank als Argument dienen, die Zinsen weiterhin im negativen Bereich zu belassen.
Es ist unumstritten, dass billiges Geld den Finanzmärkten, Staaten und natürlich auch uns Banken aus der Finanzkrise geholfen hat. Die lockere Geldpolitik führt aber auch zu immer größeren Verwerfungen. Nicht nur bei Staatsanleihen befinden sich die Renditen in der Nähe historischer Tiefstände – ähnlich ist das Bild bei Hochrisiko-Anleihen. Die Immobilienpreise der G7-Staaten sind auf Rekordniveau und steigen weiter – der Einbruch nach der Krise von 2007 und 2008 fällt in der Preisentwicklung kaum mehr auf.
Die Aktienmärkte scheinen ebenfalls fast nur eine Richtung zu kennen: Der S&P-500-Index ist seit der Finanzkrise um sage und schreibe 250 Prozent gestiegen, der Dax immerhin noch um 150 Prozent.
Gleichzeitig ist der Preis der Volatilität an den Märkten so gering wie selten zuvor. Und immer mehr Anleger und Händler wetten sogar darauf, dass die Volatilität weiter sinkt: Die Summen, die in darauf spezialisierte Finanzprodukte investiert werden, haben sich im August innerhalb eines Monats verdoppelt.
Das zeigt mir vor allem eines: Wir sehen inzwischen Anzeichen von Blasen an immer mehr Stellen des Kapitalmarkts, an denen wir sie nicht erwartet hätten.
Deshalb begrüße ich es, dass zunächst die Federal Reserve und nun auch die EZB in Aussicht gestellt haben, die lockere Geldpolitik nach und nach zu beenden.
Die Notenbanken müssen aber den richtigen Mittelweg finden, um drastische Kursverluste an den Märkten zu vermeiden.
Und damit wären wir bei meiner zweiten These:
Die Niedrigzinsen sind eine erhebliche Wettbewerbsverzerrung
Ja, ich bin manchmal ein wenig neidisch auf meine Kollegen in den Vereinigten Staaten. Die dortigen Banken haben nun einmal den profitabelsten Markt weltweit direkt vor ihrer Haustür. Ganz gleich, in welchem Geschäftsbereich: Die US-Kunden, ob Privatleute oder Unternehmen, sind bereit, ein Vielfaches an Marge zu bezahlen. Wir profitieren mit unserer Präsenz in den USA auch davon – bei weitem aber nicht im gleichen Umfang.
Zudem genießen die US-Banken einen Wettbewerbsvorteil durch das dortige Zinsumfeld. Allein im ersten Halbjahr 2017 ist der Zinsüberschuss amerikanischer Banken um acht Prozent gestiegen – in Europa ist er dagegen um zwei Prozent gesunken. Wir, die Deutsche Bank, verfügten zum Ende des zweiten Quartals über 285 Milliarden Euro an Liquidität, weil uns inzwischen wieder viel Geld zufließt. Dieses Geld, eigentlich die Stärke einer Bank, kostet uns Strafzinsen, wenn wir es bei der Europäischen Zentralbank lagern.
Das Ergebnis: Die Zinspolitik hat dazu beigetragen, dass die Erträge der europäischen Banken zurückgegangen sind. Verglichen mit der Zeit vor der Finanzkrise beträgt das Minus ganze 23 Prozent. Und dieser Prozess ist immer noch nicht zu Ende, da ja Tag für Tag weitere höher verzinsliche Kredite auslaufen.
Das konnte unsere Branche allein mit Kostendisziplin nicht ausgleichen: Die operativen Ausgaben sind in derselben Zeit nur um neun Prozent zurückgegangen. Die Gewinne haben sich unterm Strich deshalb halbiert.
Was muss geschehen? Erste Schritte in die richtige Richtung wären, wenn Europa sich von den negativen Zinsen verabschieden würde und endlich ein einheitlicher europäischer Finanzmarkt entstünde. Geschieht das nicht, wird die exportstarke europäische Wirtschaft wohl ohne ein eigenes global wettbewerbsfähiges Bankensystem dastehen.
Was mich zu These drei bringt:
Europas Bankenmarkt braucht mehr Konsolidierung
Man hat Europa vorgeworfen, nach der Finanz- und der Eurokrise zu lange zu viele angeschlagene Banken durchgeschleppt zu haben. Dieser Vorwurf ist teilweise berechtigt. Die Konsolidierung läuft immer noch schleppend, vor allem über die Grenzen hinweg findet sie so gut wie gar nicht statt.
In den einzelnen Ländern hingegen sind die Unterschiede groß. In Spanien und Frankreich gibt es heute zum Beispiel rund 45 Prozent weniger Banken als noch 2007. Dabei wurden Tabus gebrochen und teilweise sogar Sparkassen und Genossenschaftsbanken zusammengeführt.
Leider gibt es ein großes europäisches Land, in dem bisher nur wenig passiert ist – das ist Deutschland. Hier ist die Zahl der Banken seit 2007 nur um 16 Prozent zurückgegangen. Dabei möchte ich uns, die Deutsche Bank, diesmal ausnahmsweise von der Kritik ausnehmen: Wenn wir nun bald Postbank und das Privat- und Firmenkundengeschäft der Deutschen Bank zusammenführen, dann ist das die größte Fusion zweier Banken in Europa seit dem Start der gemeinsamen Bankenaufsicht 2014.
Ich bin davon überzeugt, dass sich der Trend der Konsolidierung in Europa und gerade in Deutschland beschleunigen muss. Denn Banken sind heute von Technologie getrieben und in vielen Bereichen ein reines Skalengeschäft. Das heißt: Auf Dauer können nur Banken mit einer gewissen Größe bestehen, zumindest im Geschäft mit Privat- und kleinen Geschäftskunden.
Das führt direkt zu These Nummer vier:
Deutschland muss sich entscheiden, ob es starke Banken haben will
Eines habe ich sehr schnell gelernt, als ich nach Deutschland gekommen bin, meine Damen und Herren: Beliebt sind hier Facharbeiter und Ingenieure – aber ganz bestimmt nicht die Banker. Und zugegeben, wir haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten auch nicht gerade dazu beigetragen, populärer zu werden.
Diese Einstellung spiegelt sich auch in der Politik wider. Sicher, man nimmt an, dass es nicht ohne Banken geht. Aber je größer und internationaler eine Bank wird, desto skeptischer wird sie betrachtet. Den Vorzug gibt man lieber kleinen, lokalen Instituten.
Nur: Den Anschluss an die internationale Konkurrenz werden die deutschen Banken so nicht halten können. Ein zersplitterter Markt mit immer noch mehr als 1.700 Instituten ist eine schlechte Voraussetzung, um mehrere international wettbewerbsfähige Banken hervorzubringen. Dabei ist es eigentlich schon fünf nach zwölf: Die Weichen für die Zukunft des europäischen Bankenmarkts werden gerade gestellt – wenn sie nicht schon gestellt sind.
Paradox scheint allerdings: Während Deutschland im internationalen Bankenmarkt seit Jahren zurückfällt, tut sich gerade die große Chance auf, als Finanzplatz insgesamt die führende Rolle in der Europäischen Union zu übernehmen. Die Ursache ist Großbritanniens Austritt aus der EU.
Damit sind wir bei These fünf:
Deutschland und Frankfurt bestimmen selbst, wie stark sie vom Brexit profitieren
Seit Monaten wird darüber diskutiert, welcher Standort am meisten gewinnen könnte, wenn sich London erst einmal außerhalb der Europäischen Union befindet.
Ich kann diese Debatte nicht so ganz nachvollziehen – denn für mich ist das Rennen eigentlich schon gelaufen, ehe es angefangen hat.
Sicher, in Städten wie Dublin, Amsterdam oder Paris werden neue Arbeitsplätze im Finanzsektor entstehen. Aber keiner dieser Standorte hat die Strukturen, um wirklich einen substanziellen Teil des Geschäfts aus London zu übernehmen. Diese Voraussetzungen bringt nur eine europäische Stadt mit, und das ist Frankfurt.
Hier sind die relevanten Aufsichtsbehörden, große Anwaltskanzleien und Beratungsfirmen, es gibt hervorragende Datenleitungen in die ganze Welt und wir haben einen internationalen Flughafen vor der Tür. All das spricht dafür, an den Main zu ziehen, wenn man denn die Themse verlassen muss. Wenn wir, die Deutsche Bank, uns derzeit darauf vorbereiten, mehr Geschäfte außerhalb Londons abwickeln zu können, dann ist Frankfurt unsere natürliche Anlaufstelle – und für viele unserer Wettbewerber sieht es ähnlich aus.
Die spannende Frage ist also weniger, in welcher europäischen Stadt internationale Finanzkonzerne neue Großstandorte ansiedeln. Sondern vielmehr: Wie viel Geschäft wird Frankfurt bekommen? Das hängt vor allem von Frankfurt selbst ab:
Will die Stadt die Option ziehen, die sie nun hat? Möchte man die mit Abstand wichtigste Finanzmetropole in Kontinentaleuropa werden?
Was mich zur letzten These führt:
Es kommt auf die Infrastruktur an
Für eine internationale Bank ist es immer eine Option, in Europa nur das Nötigste vorzuhalten – und praktisch alle Arbeiten ohne direkten Kundenkontakt von Amerika oder Asien aus zu erledigen. Es geht also nicht um Dublin, Paris oder Frankfurt – es geht um New York, Singapur oder Frankfurt.
Wovon hängt es aber ab, wer hier welches Stück des Kuchens bekommt? Keine Sorge, ich werde nun nicht nach staatlichen Ansiedlungsprämien oder Steuersubventionen rufen. Und ich glaube auch nicht, dass Deutschland in großem Stil Gesetze, Regulierung oder das Arbeitsrecht ändern müsste. Wir, die Deutsche Bank, haben beim ziemlich geräuschlosen Umbau unserer Privat- und Firmenkundenbank in den vergangenen anderthalb Jahren gezeigt, was in Deutschland möglich ist, wenn man gewisse Regeln beachtet.
Es ist vielmehr die Infrastruktur, die London in Europa einzigartig macht. Wenn Deutschland einen größeren Teil des dortigen Geschäfts übernehmen will, muss es vor allem in dieser Hinsicht aufholen.
Dazu gehören:
Der Brexit könnte also zu einem riesigen Konjunkturprogramm für Frankfurt werden. Die Stadt und das Land Hessen müssen es nur wollen – und ich habe den Eindruck, das ist der Fall.
All das kann nicht innerhalb weniger Monate entstehen, muss es aber auch nicht. Die Verschiebungen in Europas Finanzbranche werden nicht abgeschlossen sein, wenn Großbritannien offiziell die EU verlässt. Man muss sich aber jetzt entscheiden, ob man diesen Weg gehen will – ob man das klare Finanzzentrum Nummer 1 innerhalb der Europäischen Union werden will.
Sie sehen also, meine Damen und Herren, wir sind noch ein gutes Stück davon entfernt, dass unsere Branche so langweilig wird, wie ich es mir wünsche.
Lieber Herr Steingart, wenn die Stadt Frankfurt zum großen Gewinner wird, brauchen Sie auch für diese Konferenz vielleicht in ein paar Jahren einen größeren Saal.
Aber erst einmal freue ich mich jetzt hier und heute auf unser Gespräch.
Vielen Dank.
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