
Zukunft der Ernährung: Zwischen Klimawandel und Hightech
Klimawandel und geopolitische Krisen belasten den Lebensmittelsektor. Jessica Fanzo spricht über technologische Lösungen, aktuelle Lebensmitteltrends wie Essen aus dem 3D-Drucker, den Einsatz von KI und darüber, wie nachhaltige Ernährungssysteme künftig gestaltet werden können.
Der Klimawandel gilt als wichtiger Faktor für Ernährung und Lebensmittelsysteme. Wie wirkt er sich aktuell auf die globale Lebensmittelproduktion und den Lebensmittelsektor aus?
Lebensmittelsysteme sind gleichermaßen Opfer und Verursacher des Klimawandels. Auf der Opferseite beeinträchtigen extreme Wetterereignisse wie Dürren, Überschwemmungen und Waldbrände die Lebensmittelproduktion, was zu Lebensmittelverlusten und geringeren Erträgen führt. Das beeinflusst die Verfügbarkeit, die Kosten von und den Zugang zu Lebensmitteln. All das wiederum erschwert es den Menschen, sich gesund zu ernähren. Langfristige Klimamodelle deuten darauf hin, dass die Ernteerträge am Äquator zurückgehen könnten. Das wird zum Problem für den globalen Süden. Gleichzeitig könnten Pflanzen in nördlichen Breitengraden, beispielsweise Weizen, künftig besser gedeihen. Es gibt also unterschiedliche Veränderungen; nicht alle Pflanzen werden in einer wärmeren Welt leiden.
Lebensmittelsysteme sind gleichermaßen Opfer und Verursacher des Klimawandels.
Was sind Lebensmittelsysteme?
Unsere Ernährung hängt von der Effektivität sogenannter Lebensmittelsysteme ab. Aber was genau versteht man unter dem Begriff „Lebensmittelsysteme“? Laut Jessica Fanzo sind das alle Prozesse, in denen Lebensmittel produziert, verarbeitet, verpackt, transportiert, verkauft und konsumiert werden. Einfach ausgedrückt, beziehen sich Lebensmittelsysteme auf alles, was mit Lebensmitteln zu tun hat – vom Bauernhof bis zum Teller.
Und wie trägt der Lebensmittelsektor zum Klimawandel bei?
Der Beitrag ist erheblich, da die Landwirtschaft einer der größten Produzenten von Treibhausgasen ist. Etwa 30 Prozent aller Treibhausgase stammen aus Lebensmittelsystemen. Besonders schädlich ist Methan, welches bei der Viehzucht und beim Reisanbau in gefluteten Feldern entsteht. Zudem sind Lebensmittelsysteme Hauptverursacher von Umweltzerstörung und Verschmutzung, da sie die größten Süßwasserverbraucher sind und den Verlust der Artenvielfalt sowie die Abholzung vorantreiben.
Dieser Zusammenhang verdeutlicht, wie wichtig es ist, Lebensmittelsysteme klimaresilient und nachhaltiger zu gestalten.
Auch die geopolitische Lage beeinflusst also unser Essen?
Ja, geopolitische Konflikte wirken sich oft zuallererst auf die Nahrung aus. Sie wird als Kriegswaffe eingesetzt, entweder indem Menschen gezielt ausgehungert werden oder Felder, Vorräte oder Vieh zerstört werden. Aber auch aufgrund von Handelskriegen, Zöllen oder Exportverboten haben Menschen keinen Zugang zu Lebensmitteln.
Die aktuelle geopolitische Situation beeinflusst Lebensmittelsysteme erheblich. Zum Beispiel hat die derzeitige US-Regierung die Nahrungsmittelhilfe weltweit schnell reduziert und das Aus der United States Agency for International Development (USAID) zum 1. Juli beschlossen. USAID war unter anderem für Datensysteme verantwortlich, die dabei geholfen haben, Unterernährung bei Kindern zu verfolgen – so war eine gezielte Nahrungsmittelhilfe möglich. Diese Entscheidung schwächt das Ansehen der USA weltweit und könnte schwerwiegende Auswirkungen für die Menschen vor Ort haben.

Jessica Fanzo informiert sich in Malawi über lokale Lebensrealitäten und landwirtschaftliche Praxis. Foto: Derek White
Bei Konflikten um Lebensmittel denken wir Europäer an Russlands Angriff auf den Agrarsektor der Ukraine. Aber auch in anderen Weltregionen erschüttern Krieg und Konflikte die Lebensmittelsysteme …
Absolut. Sudan, Südsudan, Äthiopien, Somalia, Westafrika – die Situation in der Sahelzone ist äußerst problematisch. Und diese Region ist ohnehin schon sehr anfällig für extreme Klimaereignisse.
Einige unserer Untersuchungen nach Kriegen zeigen, wie Konflikte langfristig Ernährungschaos verursachen. Selbst Jahrzehnte nach Konflikten weisen ehemals betroffene Länder teilweise die höchsten Raten von Unterernährung auf. Die Auswirkungen von Krieg und Unruhen auf die Ernährungssicherheit und -versorgung reichen weit über die unmittelbaren Folgen hinaus und betreffen Generationen.
Heute können sich 2,8 Milliarden Menschen – 40 Prozent der Weltbevölkerung – keine gesunde Ernährung leisten.
Das gesamte politische Klima ist derzeit ziemlich besorgniserregend, insbesondere für diejenigen, die ohnehin schon unter Ernährungsunsicherheit leiden. Heute können sich 2,8 Milliarden Menschen – 40 Prozent der Weltbevölkerung – keine gesunde Ernährung leisten. Mit all den Handelskriegen und geopolitischen Problemen könnten Lebensmittelpreise weiter steigen, was die Situation für diese Menschen noch schwieriger macht. Und dazu kommt der Klimawandel – das ist eine Mehrfachkrise. Es ist wirklich deprimierend.
Angesichts dieser Probleme – warum wird darüber relativ wenig diskutiert?
Gute Frage. Es gibt mehrere Gründe. Erstens funktionieren die globalen Lieferketten für Lebensmittel im Allgemeinen recht gut, selbst während Krisen wie Corona. Daher denken die Menschen, vor allem in einkommensstarken Ländern, dass Lebensmittel immer verfügbar sind. Zweitens konzentrieren sich die Diskussionen zum Klimawandel oft auf den Energiesektor, der etwa 70 Prozent der Treibhausgasemissionen ausmacht. Drittens ist Ernährungsunsicherheit oft nicht sofort erkennbar und sichtbar, im Gegensatz zu Ausbrüchen von Infektionskrankheiten beispielsweise. Dies macht sie in der öffentlichen Wahrnehmung weniger dringend.
Aus all diesen Gründen haben Regierungen in der Vergangenheit weniger in Lebensmittelsysteme, Landwirtschaft sowie Forschung und Entwicklung investiert. Man ging davon aus, dass Lebensmittelsysteme funktionieren; warum also den Status quo stören? Wir wissen jedoch, dass Lebensmittelsysteme dringend Innovation und Investitionen brauchen, um weiterhin zu funktionieren.
Wie kann Technologie dazu beitragen, die Herausforderungen der Lebensmittelsysteme zu bewältigen und den Lebensmittelmarkt der Zukunft zu gestalten?
Es gibt zahlreiche Innovationen, die berücksichtigt werden sollten. Innovationen im Saatgutsystem und die Nutzung von Bio-Düngemitteln können den Einsatz chemischer Düngemittel reduzieren, die ihrerseits Treibhausgase verursachen.
Vielversprechend sind auch Technologien wie Impfstoffe und Futterzusätze, die den Methanausstoß bei Kühen reduzieren. Und gleichzeitig ist bereits viel Risikokapital in den Bereich der alternativen Proteine geflossen, einschließlich Fleisch, das im Labor gezüchtet wird.
Erhebliches Potential haben zudem Kreislaufwirtschaftssysteme zur Reduzierung von Lebensmittelverlusten und -verschwendung. Die Herausforderung besteht darin, in diese Technologien zu investieren und sie zu skalieren, wobei unterschiedliche Bedürfnisse verschiedener Lebensmittelsysteme berücksichtigt werden müssen. Im ländlichen Kenia sollte in Technologien investiert werden, die die Lebensmittelproduktion steigern oder die Fruchtbarkeit der Böden verbessert. In New York City hingegen wären Innovationen wichtig, die in bestimmten Stadtteilen den Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln verbessern könnten.

Jessica Fanzo spricht in Nordkenia mit Angehörigen pastoraler Gemeinschaften. Diese ziehen mit ihren Herden durch trockene Regionen, um Weideflächen und Wasser zu finden. Foto: Derek White
KI kann Innovationen beschleunigen und die Produktivität steigern.
Künstliche Intelligenz wird oft als transformative Technologie beschrieben. Wie kann sie in Lebensmittelsystemen genutzt werden?
KI kann beispielsweise für die Pflanzenzüchtung und personalisierte Ernährung genutzt werden. Sie kann Innovationen beschleunigen und die Produktivität steigern, indem beispielsweise die benötige Zeit für die Pflanzenzüchtung verkürzt wird. KI kann hierbei große Mengen genetischer Daten analysieren, um die besten Pflanzen für die Zucht schneller zu identifizieren. Oder KI kann optimale Licht- und Temperaturbedingungen für das schnelle Wachstum von Pflanzen steuern, wodurch die Zuchtzyklen verkürzt werden.
Der verantwortungsvolle Einsatz von KI kann Landwirten und dem Lebensmittelsystem insgesamt erheblich zugutekommen.
Sie sprachen bereits von alternativen Proteinen. Was halten Sie von Lebensmitteltrends wie Kulturfleisch oder Fleisch aus dem 3D-Drucker?
Ich glaube sowohl an High-Tech- als auch an Low-Tech-Lösungen. Das Wissen der Landwirte und indigenes Wissen sind genauso wichtig wie bestimmte High-Tech-Lösungen, etwa im Bereich der alternativen Proteine.
Es gibt jedoch politische, ethische und kulturelle Fragen rund um Lebensmitteltrends und Technologien wie Kulturfleisch oder genetisch veränderte Organismen. Regulierung ist hier ein großes Thema, und Akzeptanz ist ein wichtiger Faktor.
Technologie wird wirklich wichtig werden, wenn es hart auf hart kommt.
Ich denke nicht, dass viele Menschen Kulturfleisch essen wollen. Für viele Menschen ist es eine Art Frankenstein-Nahrung. Falls aber die Maßnahmen zum Klimaschutz weiter so begrenzt bleiben, haben wir möglicherweise keine Wahl. Wir werden möglicherweise einige dieser Lebensmittel essen müssen, da es unglaublich schwierig sein wird, Vieh in einer heißer werdenden Welt zu züchten. Tiere werden buchstäblich ums Überleben kämpfen.
Technologie wird also wirklich wichtig werden, wenn es hart auf hart kommt.
Also wirklich Schnitzel aus dem 3D-Drucker…?
Die Nachfrage spielt eine große Rolle. Wenn es keine Nachfrage nach solchen Lebensmitteln gibt und die Menschen weiterhin Fleisch von mit Gras gefütterten Rindern wollen – und bereit sind, dafür zu zahlen, da es wahrscheinlich teurer wird – dann werden sie genau das weiterhin essen und eben kein künstliches Fleisch. Sie essen dann vielleicht weniger davon, aber hin und wieder werden sie es sich gönnen.
Und die kulturelle Dimension ist ebenfalls wichtig. In Deutschland gibt es doch beispielsweise eine Kultur des Fleischessens, richtig? Und die Menschen möchten diese Kultur wahrscheinlich nicht aufgeben. Es ist daher wichtig, ein Gleichgewicht zu finden zwischen diesen sozialen und kulturellen Ernährungstraditionen und dem verantwortungsvollen Einsatz von Technologie.
Welche Rolle kann der Bankensektor dabei spielen, wie können wir Teil der Lösung sein?
Es geht um Investitionen. Einige der Technologien und Ideen, über die wir gerade gesprochen haben, werden sehr wichtig werden. Der Bereich Forschung und Entwicklung in der Landwirtschaft ist stark unterfinanziert. KI und maschinelles Lernen können wichtige Bereiche für Investitionen sein. Durch Investitionen in diese Technologien können Innovationen beschleunigt werden, sodass das, was zuvor unmöglich schien, in viel kürzerer Zeit möglich wird.
Außerdem gibt es ein enormes Potenzial in Afrika. In den kommenden Jahrzehnten wird es dort viele junge Menschen geben, die weiterhin eher in ländlichen Regionen als in Städten leben werden. Es gibt immer noch viele Landwirte, die ihre Produktivität und die Vielfalt der angebauten Lebensmittel erheblich steigern könnten. Afrika hat ein enormes Potenzial.
Meine letzte Frage bezieht sich auf den Titel Ihres Buches: Können wir – im übertragenen Sinne – mit unserem Abendessen die Welt retten?
Ja, absolut. Dafür sollten wir uns auf drei große Bereiche konzentrieren:
Erstens auf eine effizientere Landwirtschaft. Verbesserte Methoden wie Präzisionslandwirtschaft, die modernste Technologien wie GPS, KI und Datenanalyse nutzen, sowie Fruchtwechsel und nachhaltige Schädlingsbekämpfung können Erträge steigern und die Umwelt schonen.
Gleichzeitig können Direktsaat, also die Aussaat ohne Bodenbearbeitung, Agroforstwirtschaft, bei der Bäume oder Sträucher zusammen mit Feldfrüchten oder Vieh angebaut werden, und dürreresistente Pflanzen den Landwirten helfen.
Zweitens geht es um die Veränderung der Ernährungsgewohnheiten der Menschen. Verhaltensänderungen sind schwierig, aber unsere Ernährungsgewohnheiten haben sich in den letzten 50 Jahren dramatisch verändert. Zum Beispiel essen wir heute nicht mehr zu jeder Mahlzeit Fleisch und Kartoffeln. Es gibt viele Möglichkeiten, Menschen dabei zu unterstützen, sich umzustellen. Zum Beispiel indem die Umweltbelastung von Lebensmitteln gekennzeichnet wird oder indem nachhaltige Produkte in Geschäften besser sichtbar platziert werden. Außerdem können Webseiten oder Apps helfen, um Verbraucher auf lokale Produkte hinzuweisen oder ihnen Tipps zu geben, weniger Lebensmittel zu verschwenden.
Wir verschwenden etwa 30 Prozent aller produzierten Lebensmittel.
Das bringt mich zu meinem dritten Punkt, wir müssen Lebensmittelverluste und Lebensmittelverschwendung verringern. Wir verschwenden etwa 30 Prozent aller produzierten Lebensmittel. Es gibt so viele Lösungen: Apps, die helfen, die Lebensmittelverschwendung im Einzelhandel zu reduzieren, bessere Lagerkapazitäten oder Kompostierung. Aber wir müssen mehr investieren, um diese Lösungen über lokale Anwendungen oder Pilotprojekte hinaus zu skalieren.
Wir brauchen insgesamt mehr Investitionen in Forschung und Entwicklung, um Lebensmittelsysteme wirklich positiv zu transformieren.
Und das würde sich tatsächlich lohnen – dazu nur eine Zahl: Die wirtschaftlichen Kosten von krankheitsbedingten Produktionsverlusten, die durch Lebensmittelsysteme verursacht werden – also beispielsweise lebensmittelbedingte Erkrankungen oder Mangelernährung – diese Kosten werden auf mindestens 11 Billionen US-Dollar jährlich geschätzt. Aber wenn wir die Lebensmittelsysteme nachhaltiger gestalten, unsere Essgewohnheiten ändern sowie Lebensmittelverluste und -verschwendung reduzieren, können wir diese Kosten mindestens halbieren.

Über Jessica Fanzo
Jessica Fanzo ist Professorin für Klima und Direktorin der „Food for Humanity“-Initiative an der Columbia Climate School. Sie befasst sich mit Ernährungspolitik, Ernährung und Nachhaltigkeit. Sie hat als Beraterin unter anderem für die Vereinten Nationen und die Weltgesundheitsorganisation gearbeitet. Zu ihren zahlreichen Publikationen zählen Can Fixing Dinner Fix the Planet? und Global Food Systems, Diets and Nutrition. Fanzo wurde im Mai 2025 offiziell in die Nationale Akademie der Wissenschaften der USA aufgenommen.
Die Columbia Climate School ist die transdisziplinäre Klima-Forschungseinrichtung der Columbia University.

Falk Hartig
… ist fasziniert von der geopolitischen Dimension unseres Essens – und davon, wie Ernährung zur globalen Verhandlungssache wurde. Seit dem Interview interessiert er sich noch mehr dafür, was täglich auf den Teller kommt – und was alles dahintersteht.
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