Philipp Misselwitz Bauhaus Erde Berlin

„Der Elefant im Klimaraum“

Philipp Misselwitz hat eine kühne Vision: Der Bausektor soll künftig das Klima schützen, anstelle ihm zu schaden. Wie das funktionieren könnte, verrät der Leiter der Organisation „Bauhaus Erde” im Interview.

Wenn Philipp Misselwitz über die Zukunft des Bauens spricht, ist er kaum zu bremsen. „Ich bin ein verzweifelter Optimist“, sagt der Chef der Organisation „Bauhaus Erde“, die erforscht, wie nachhaltiges Bauen die Umwelt schützen kann, anstatt sie zu belasten. Im Interview bespricht der Professor an der Technischen Universität Berlin, warum sich weltweit die Zahl der Gebäude verdoppeln wird, weshalb sich viele Mythen über Holz und anderen Materialien so hartnäckig halten – und warum es beim Einsatz modernster Technologie auf die ökologische Gesamtbilanz ankommt.

Philipp Misselwitz, Ihre Organisation „Bauhaus Erde“ nennt den Bausektor den „Elefanten im Klimaraum“. Warum?

Potsdam Pavillion  © Bauhaus Erde

Pavillon in Potsdam

Der Bau ist der größte Verursacher von Treibhausgasen überhaupt. Er ist für rund 40 Prozent aller CO2-Emmissionen verantwortlich und verbraucht 90 Prozent der mineralischen Ressourcen wie Eisen, Kies oder Sand. Doch damit nicht genug: Uns steht die größte Urbanisierungswelle aller Zeiten bevor, in den nächsten 20 Jahren werden weltweit 2 bis 3 Milliarden Menschen in Städte ziehen. Wir rechnen mit einer Verdoppelung der Gebäude mit entsprechendem Materialeinsatz. Kurzum: Die Metapher vom „Elefanten im Klimaraum“ trifft vollkommen zu.

Der Bausektor könnte zu einer heilenden Kraft für das Klima werden.

Im Umkehrschluss heißt das: Hier lässt sich besonders viel fürs Klima tun. Was wäre im allerbesten Fall möglich?

Unsere Vision ist: Der Bausektor soll nicht nur weniger Schaden anrichten. Er könnte sogar zu einer heilenden Kraft für das Klima werden.

Wie soll das gehen?

Wir müssen vor allem das Bauen gesamtheitlich begreifen, über den ganzen Lebenszyklus hinweg: vom An- und Abbau der Baumaterialien über das Bauen selbst bis zur Art, wie wir Gebäude im Lauf der Zeit flexibel nutzen können und der Frage, was geschieht, wenn doch einmal etwas abgerissen werden muss. Wenn uns das gelingt, haben wir genügend Hebel, an denen wir ansetzen können.

Welches sind die wichtigsten?

Wir brauchen eine Materialwende. Bislang dominieren mineralische und fossile Stoffe wie Stahl und Zement. Ganz ohne wird es auch in Zukunft nicht gehen. Aber es gibt sehr viele bio- und geobasierte Alternativen – von Holz über Lehm und Erde bis zu Pilzen oder Abfallprodukten aus der Landwirtschaft, zum Beispiel Stroh. Die sind in der Natur reichlich vorhanden – und wachsen in vielen Fällen nach. Damit lässt sich ein großer Teil des künftigen Bedarfs decken.

Aber ist das Bauen mit diesen Materialien nicht deutlich teurer als mit Beton?

Die aktuellen Preise sind verzerrt, weil die negativen Wirkungen von Beton auf das Klima nicht eingerechnet sind. Was wir bräuchten, wäre ein sogenanntes „Level Playing Field“, bei dem alle Kostenfaktoren berücksichtigt werden. Da sind wir noch lange nicht. Die Auswahl der Baustoffe allein reicht aber noch nicht für eine echte Klima-Wende am Bau.

Wir können tatsächlich durch den Bausektor das Klima schützen, anstatt es zu gefährden.

Sondern?

Wir müssen das Material effizienter und weniger verschwenderisch einsetzen, und auch hier gilt: entlang der gesamten Wertschöpfungskette, von Anfang an. So ist ein Wald ein komplexes Öko-System, und nur wer dieses richtig versteht, kann Bäume so anpflanzen, dass es gut für Klima und Biodiversität ist und Waldbrände verhindert. Beim Bau selbst lässt sich der Materialeinsatz ebenfalls optimieren. Und nicht zuletzt auch dann, wenn es darum geht, Gebäude um- oder zurückzubauen. Das ist in Deutschland und Europa ein großes Thema, auf das sich die Wirtschaft gerade erst einstellt. Eine Reihe von Start-Ups beschäftigt sich intensiv damit, wie wir im Baubereich eine Kreislaufwirtschaft aufbauen können.

Mythen und Vorurteile halten sich sehr hartnäckig. Zum Beispiel denken immer noch viele, dass von Holz eine große Brandgefahr ausgeht.

Im günstigsten Fall werden Städte zu CO2-Speichern, weil wir in langlebigen, naturbasierten Bauprodukten CO2 einlagern, statt es zu verbrennen, und gleichzeitig neue Wälder aufforsten, die wiederum Kohlendioxid aus der Atmosphäre entnehmen. Wenn alles passt, können wir tatsächlich durch den Bausektor das Klima schützen, anstatt es zu gefährden.

Wie wichtig ist dabei der Einsatz modernster Technologie?

Sie kann auf allen Stufen der Wertschöpfungskette helfen. KI kann beitragen, die Komplexität der Natur besser zu verstehen, abfallfreie Bauprodukte zu entwickeln und sie optimal einzusetzen und somit insgesamt das Klima zu schonen.  Allerdings müssen wir immer die ökologische Gesamtbilanz im Auge behalten: Wenn eine heute hochmoderne Gebäudetechnik zwar die Heiz- und Kühlkosten reduziert, aber bei ihrer Produktion selbst sehr viel Energie verschlingt und vielleicht schon nach wenigen Jahren wieder überholt ist und ausgewechselt werden muss, wäre letztlich für den Klimaschutz nichts gewonnen.

Wie schätzen Sie in Deutschland das Bewusstsein dafür ein, dass wir nachhaltig bauen müssen, um den Kampf gegen den Klimawandel zu gewinnen?

Es tut sich was, aber noch nicht schnell genug und nicht in der Breite. In allen Bereichen gibt es Vorreiter, bei den Bauherren und Investoren genauso wie bei den ausführenden Firmen und den Material-Lieferanten. Wir müssen diese Beispiele besser kommunizieren und so bekannt machen, dass sie zu Zugpferden werden. Woran es noch hapert, ist die Skalierung.

Die Lage ist wahnsinnig ernst. Aber wir dürfen uns davon nicht lähmen lassen und abstumpfen. 

Was sind die Gründe dafür, dass es nicht schneller geht?

Im 20. Jahrhundert haben sich Gebäude aus Stahl, Glas und Beton für viele Menschen zu einem Zeichen von Modernität und Wohlstand entwickelt. Es hat sich eine bestimmte soziale Wahrnehmung von Materialien herausgeprägt. Nach dem Motto: Wer arm ist, baut mit dem, was gerade da ist, etwa Holz und Lehm. Wer es sich leisten kann, baut mit Beton – auch wenn diese Gebäude häufig neue Nachteile mit sich bringen wie Schimmel.

Eine Frage der Psyche?

Tatsächlich halten sich Mythen und Vorurteile sehr hartnäckig. Zum Beispiel denken immer noch viele, dass von Holz eine große Brandgefahr ausgeht. Dabei ist wissenschaftlich schon lange belegt, dass Holzgebäude für die Feuerwehr einfacher zu löschen sind als solche aus Stahl, weil sich der Stahl nach kurzer Zeit verbiegt. Wir müssen also in diesem Bereich mehr aufklären.

Was muss sich noch tun?

Wir brauchen mehr Forschung im Bereich des nachhaltigen Bauens. Solange Unternehmen vor allem Beton und Stahl verwenden, forschen sie dazu am meisten. Deshalb sind hier auch Stiftungen und staatliche Förderprogramme gefragt. So haben wir uns bei „Bauhaus Erde“ unter anderem damit beschäftigt, wie sich Baustellenaushub, bislang Abfall mit hohen Entsorgungskosten, zu tragenden Erd-Lehmsteinen verpressen lässt, die ohne Zementzusatz und luftgetrocknet eine sehr gute Ökobilanz aufweisen. Dieser Ansatz erwies sich sofort als skalierbar und wird bereits stark nachgefragt.

Wie beurteilen Sie den Willen in der Politik, nachhaltiges Bauen voranzubringen?

Im Augenblick hat sich die Diskussion wieder darauf verlagert, schnell und einfach zu bauen, um die Wohnungsnot in den Großstädten in den Griff zu bekommen. Wichtig wäre jetzt aber auch, dass wir die Fördermittel im Infrastruktur- und im Klimatransformations-Fonds dafür einsetzen, regenerativen Bauweisen zum Durchbruch zu verhelfen – und nicht althergebrachte Methoden künstlich am Leben zu erhalten. Wir müssen mutig handeln, und zwar jetzt – sonst wird es später sehr viel teurer sein.

Wir haben bislang vor allem über Deutschland gesprochen. Wie sieht es denn im Ausland mit dem nachhaltigen Bauen aus?

Das Bewusstsein, etwas für den Klimaschutz tun zu müssen, ist in den alten Industrieländern am stärksten entwickelt, das ist auch nicht verwunderlich. Viele ärmere Länder, zum Beispiel in der Sub-Sahara-Zone, verbrauchen pro Kopf viel weniger CO2 als wir und fühlen sich weniger verantwortlich, die Folgen zu bekämpfen.

Am ehesten können wir das ändern, wenn wir ihnen vermitteln, dass nachhaltiges Bauen auch wirtschaftliche Vorteile bringt. Dies gelingt beispielsweise, indem lokale Baustoffe wie Lehm, Palmblätter, Kokosnussschalen oder Stroh zum Einsatz kommen, statt teuren Stahlbeton zu importieren. Anders gesagt: Wir müssen aus dem Klima-Narrativ ein Entwicklungs-Narrativ machen. Die Zeit drängt, denn in diesen Regionen wird sich der Großteil des erwarteten Milliarden-Zuzugs in die Städte abspielen.

Gibt es schon Beispiele, die Mut machen?

Ja, überall – von Bhutan bis zu Projekten in Burkina Faso und Ruanda. Oder nehmen Sie Indonesien: Auf Bali wird gerade intensiv daran gearbeitet, das uns aus Beach-Bars bekannte Bambus für hochkomplexe Bauprojekte zu nutzen. Bambus ist Holz in vieler Hinsicht überlegen, es wächst schneller, speichert mehr CO2 und lässt sich gut industriell verarbeiten.

Lassen sich aus Bambus oder Lehm tatsächlich die Hochhäuser oder Wohnblöcke bauen, die für die stark wachsende Bevölkerung in den Städten des globalen Südens nötig sein werden?

Wenn man das Material richtig versteht und einsetzt: ja, absolut. Jedes Material hat besondere Qualitäten, ebenso wie Schwächen. Es wird deshalb sicher auch hybride Bauweisen mit Beton geben. Und natürlich werden Gebäude aus Lehm oder Holz anders aussehen und andere Formen haben als bei Beton, es wird eine neue Ästhetik in der Architektur geben.

Sie haben Positives, aber auch Bedenkliches geschildert. Ganz kurz: Wie ist ihre aktuelle Gefühlslage, wenn sie ans nachhaltige Bauen denken?

Die Lage ist wahnsinnig ernst. Aber wir dürfen uns davon nicht lähmen lassen und abstumpfen. Ich bin ein verzweifelter Optimist.

Diese Seite wurde im Oktober 2025 veröffentlicht.

Philipp Misselwitz Bauhaus Erde Berlin

Über Philipp Misselwitz

Professor Philipp Misselwitz ist CEO der Organisation „Bauhaus Erde”. Er studierte Architektur und Städtebau an der Universität Cambridge und der Architectural Association in London. Seit 2013 leitet er das Fachgebiet „Internationale Urbanistik und Entwerfen – Habitat Unit” an der TU Berlin. Bauhaus Erde ist ein interdisziplinärer, international aufgestellter „Think-and-Make-Tank", der sich seit 2019 der Transformation durch nachhaltiges Bauen widmet.

Claudio De Luca

Claudio De Luca

… kümmert sich bei der Deutschen Bank als Leiter des Editing-Teams um die Qualität der Texte. Er hat es genossen, für das Interview in seine frühere Rolle als Journalist zu schlüpfen - und war überrascht, wie groß der Effekt des nachhaltigen Bauens auf das Klima künftig sein könnte.

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